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Die Weltbürgerin

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Als sie 20 Jahre alt ist, steigt Ruth Eickhoff mit ihrem Mann und zwei Kindern auf ein Schiff nach Südafrika. 28 Jahre lang lebt sie in Südafrika, England und den USA. In ihrem Hamburger Gästezimmer wohnen jetzt Freunde aus aller Welt.

„Gib mir Meer, gib mir Wasser und ein büsschen Wind“. Ruth Eickhoff sitzt in einem schwimmenden Café an der Hamburger Landeanlage Teufelsbrück. In Sichtweite landet ein Flugzeug. Hinter ihr be- und entladen die Kräne im Hafen Containerschiffe. Regen prasselt gegen die Fenster, ein Lotsenschiff fährt vorbei, das Pontoncafé schaukelt. Obwohl Ruth Eickhoff auch die Hamburger Regentage mag, wünscht sie sich in den „Schietwetter“-Monaten manchmal zurück nach Südafrika.

Ruth Eickhoff ist zwanzig, verheiratet, ihr ältester Sohn ist drei Jahre alt, der jüngere Eins, als sie ihren Mann bei einem deutschen Autohersteller für einen Job in Südafrika bewirbt. Den Brief mit der Einladung zum Bewerbungsgespräch legt sie ihrem Mann beim Abendbrot auf den Tisch. Der geht sprachlos ins Bett. Erst am nächsten Tag bekommt Ruth eine Antwort: „Wir können uns das ja mal anhören“. Die ganze Familie stellt sich in der Südafrikanischen Botschaft vor.

Am 1. April steigt die Zwanzigjährige mit ihrem Mann und den drei und ein Jahr alten Söhnen auf ein Schiff. „Unsere Freunde haben das zuerst noch für einen Scherz gehalten“. Nach 21 Tagen und einer Äquatortaufe läuft das Schiff in Südafrika ein. Die Familie zieht in ein großes Reetdachhaus. Strandaufenthalte, Grillen mit Freunden, Draussen sitzen, Ruth Eickhoff gefällt die Lebenseinstellung in Südafrika: „Es ist alles easier“.

In Hamburg geht es durch den Regen mit einer Fähre zu den Landungsbrücken und mit der U-Bahn zum Hauptbahnhof, auf ein Bier in ein traditionelles Restaurant, in dem schon Ruths Großeltern gegessen haben. „Wir haben damals zwar in Herford gelebt, meine ganze Familie hat es aber schon immer nach Hamburg gezogen“, erzählt Ruth. Ihr Vater, Hugo Eickhoff, ist in den 50er und 60er Jahren mit seiner Musikkapelle auf dem Kiez aufgetreten, hatte eine kleine Wohnung in Hamburg. Schon als kleines Mädchen war Ruth deshalb oft in Hamburg und fühlt sich heute hier zu Hause.

Für fast 30 Jahre hat sie vor der Rückkehr nach Deutschland im Ausland gelebt. Nach fünf Jahren in Südafrika muss sich die Familie entscheiden, zu bleiben oder zurück nach Deutschland zu gehen. Die Entscheidung fällt auf das warme Südafrika. Ruths Mann macht sich dort mit einer kleinen Autowerkstatt selbstständig. Als die Kinder groß sind, trennt sich Ruth von ihrem Mann. Mit ein wenig Glück und dank ihrer forschen Art findet sie ein kleines Mietshaus direkt am Strand.

Mittlerweile wohnt Ruth Eickhoff zur Miete im zweiten Stock in Hamburg Eilbek. Manchmal träumt sie von einem kleinen Reetdachhaus an der Elbe. „Nur ein ganz kleines“. In den Wintermonaten denkt sie darüber nach, zu ihrer Freundin Hella auf deren Zuckerfarm in Südafrika zu ziehen. Willkommen wäre sie dort jederzeit. Hella ist durch Ruth nach Südafrika gekommen, hat dort ihren Mann, den Zuckerfarmer kennengelernt. Auch in Hamburg ist Ruths kleines Gästezimmer jetzt Anlaufpunkt für Freunde aus der ganzen Welt, Deutsche aus Südafrika, Engländer, die sie in Südafrika kennengelernt hat, ihren älteren Sohn, der mit seiner Frau und drei Söhnen in Südafrika lebt und ihren jüngeren Sohn, der mittlerweile wieder in Bielefeld lebt.

Nachdem sie in Miami gelebt hat, war Ruth Eickhoff zehn Jahre lang mit einem Amerikaner liiert. Als sie den Container bestellt hatte und bereit war, auszuwandern, hat der Schluss gemacht. Die Begründung: „You are too german“. „Was?“, denkt sie sich. „I’m international. Eine Weltbürgerin“, sagt sie. „Wahrscheinlich lag es daran, dass ich zu selbstständig bin“.

Über Facebook hält Ruth Eickhoff Kontakt zu ihren Freunden, die sie in Südafrika, England und Miami kennengelernt hat. „In deren Betten schlafe ich, wenn ich reise“. Zweimal pro Jahr versucht sie, auf Reisen zu gehen. Von ihrer Rente kann sie das nicht finanzieren. Mit ihren 67 Jahren arbeitet sie aber immer noch als Englischlehrerin in einer Hamburger Privatschule, bringt Mitarbeitern von Reedereien und Importfirmen bei, Verträge zu schreiben und Zolldokumente zu übersetzen. In Südafrika war sie schon seit vier Jahren nicht mehr. „Aber einmal mache ich das noch“, sagt sie.

Vienna Gerstenkorn


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